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Flanieren - Eintauchen - Erleben - Ein Blick in die nahe Zukunft: Das neue Beethoven-Haus

Essay
Flanieren - Eintauchen - Erleben - Ein Blick in die nahe Zukunft: Das neue Beethoven-Haus
von Prof. Barbara Holzer, Dr. Nicole Kämpken

Zum Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 soll sich das Museum im Beethoven-Haus in einem neuen, zeitgemäßen Gewand präsentieren. Derzeit wird unter Hochdruck an der Neugestaltung der Dauerausstellung gearbeitet. Ausgangspunkt und einzigartiger Rahmen ist das historische Gebäudeensemble, das von jeher eine große Anziehung auf das musik- und kulturinteressierte Publikum ausübt. Mit jährlich 100.000 BesucherInnen aus aller Welt gehört das Museum zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland. Im denkmalgeschützten Geburtshaus und Vorderhaus (Bonngasse 20) wird die neue Dauerausstellung präsentiert. Die inhaltliche Erzählstruktur und die räumliche Gestaltung wurden Hand-in-Hand entwickelt. Die Verbindung von Inhalt, Form und Raum erlaubt eine schlüssige Gesamtchoreografie. 

Ziel der neuen Dauerausstellung im Beethoven-Haus in Bonn ist es, die BesucherInnen in ihrer heutigen Lebenswelt abzuholen und die Ausstellungsthemen so zu gestalten, dass diese nicht nur über das Leben und Werk Ludwig van Beethovens informieren, sondern die BesucherInnen auch emotional berühren. Durch die vielfältige Blickweisen ergänzen sich Wissensvermittlung und emotionales Erlebnis gegenseitig.

Die Ausstellung erzählt Geschichten aus und über Beethovens Leben. Die historischen Exponate aus der weltweit größten und vielseitigsten Beethoven-Sammlung sind hierbei die wichtigsten Akteure. Eines der bedeutendsten Exponate des Museums ist das Haus selbst: als Geburtshaus von Beethoven hat es eine starke auratische Wirkung. Ziel ist es, mit der neuen Ausstellungsgestaltung eine optimale Inszenierung des historischen Hauses selbst zu erreichen. Das Haus als authentischer Ort sowie zahlreiche historische und persönliche Gegenstände ermöglichen dem Publikum ein Eintauchen in Beethovens Lebenswelt. Eine gezielte Auswahl und deren historische oder kulturelle Kontextualisierung unterstreicht die Einzigartigkeit der Originale. Mit kleineren medialen und künstlerischen Inszenierungen werden den BesucherInnen neue Perspektiven auf die historischen Zeugen eröffnet. Sie bieten eine spielerische und sinnliche Auseinandersetzung mit Beethoven und seinem Werk an. Ein Media-Guide führt die BesucherInnen durch die Ausstellung. Einfache Grafiken und eine gezielte Auswahl von Bildern unterstützen die Audiospur, die einen vertiefenden Ausstellungsrundgang in vielen Sprachen anbietet. Einzelne Medienstationen an den Vitrinen erlauben das "Blättern" in interessanten Dokumenten oder erläutern und illustrieren originale handschriftliche Notizen von Beethoven und dienen somit der inhaltlichen Vertiefung.

Die Ausstellung erstreckt sich über mehrere Stockwerke und eine Vielzahl kleiner Räume (ähnlich Kabinetten), die historischen Gebäude prägen das Raumerlebnis der BesucherInnen maßgeblich. Die Inhalte fächern sich raumweise auf und laden so ein, in jedem Raum wieder neue Aspekte zu entdecken. Die BesucherInnen werden zu Flanierenden in den historischen Räumen und der thematisch gegliederten Ausstellung. Das Erdgeschoss empfängt sie mit einer Galerie authentischer Beethoven-Portraits ergänzt durch Kommentare seiner Zeitgenossen und öffnet so den Blick auf Beethovens Lebensgeschichte. Beethovens Verankerung in seiner Heimatstadt Bonn, deren gesellschaftliches Leben den jungen Menschen und Musiker in vielfältiger Weise prägte und einen anregenden Nährboden für seine Entwicklung bildete, wird ebenfalls thematisiert. Im ersten Stock steht Beethoven als Mensch im Mittelpunkt. Durch einen geregelten Tagesablauf schaffte er in seinem Alltag eine ausgewogene Balance zwischen produktiven Arbeitsphasen und Zeiten der Inspiration und Erholung. Sein soziales Umfeld, ohne das seine Erfolgsgeschichte nicht möglich gewesen wäre, wird durch Portraits der FreundInnen und Mäzene repräsentiert, die spannende Einblicke ermöglichen. Im zweiten Stock blickt die Ausstellung auf die Tragik von Beethovens Leben: mit seiner Ertaubung traf ihn ein kaum vorstellbarer Schicksalsschlag. Und trotzdem schaffte er es, als Künstler neue Maßstäbe zu setzen. Anhand ausgewählter Werke erzählt die Ausstellung, wie er bestehende Konventionen radikal sprengte und zu einem der bedeutendsten Künstler der Musikgeschichte wurde.

Die Vitrinen und Ausstellungsbauten weisen eine den historischen Räumen angemessene Größe auf, sie möblieren die Räume und schaffen so einen Bezug zur ursprünglichen Nutzung des Gebäudes als Wohnhaus. Die Ausstellungsmöbel sind leicht und elegant gestaltet. Die Präsentationsflächen sind großzügig geplant und bieten den notwendigen Raum zur Inszenierung der hochwertigen Originale. Hohe Vitrinen in den Räumen werden als Glaskörper ausgebildet und erlauben somit eine große Transparenz und Durchsicht. An den Wänden werden historische Bilder oder Grafiken gezeigt, diese kontextualisieren die Ausstellungsthemen in den einzelnen Räumen.

Das sogenannte Geburtszimmer bildet den eigentlichen Nukleus des Museums. Es soll ein Ort der "Begegnung mit Beethoven" werden. Die BesucherInnen können den Raum betreten, sie berühren aber den historischen Boden nicht, sondern gehen auf einer neuen, darüber gelegten, leicht reflektierenden Fläche. Dadurch entsteht ein Gefühl des Schwebens, ein fast traumartiger Zustand. Eine diagonale Spiegelfläche im Raum wird durch eine Rückprojektion bespielt. So entsteht eine Überlagerung des eigenen Spiegelbildes mit Zitaten und Skizzen von Beethoven. Die magische Kraft des Raumes wird dadurch erlebbar gemacht. Es entsteht ein poetischer Ort, ein Raum der Reflexion, des Gedenkens und der Annäherung.

 Im historischen Gewölbekeller wird eine Art "Schatzkammer" eingerichtet. Der tageslichtfreie Raum ermöglicht die Inszenierung von turnusmäßig wechselnden originalen Beethoven-Handschriften. Diese veranschaulichen Beethovens Schreib- und Arbeitsprozesse, ermöglichen also den Blick in seine "Werkstatt". Der Raum ist dem Beethoven-Sammler Hans Conrad Bodmer gewidmet, dessen Legat die Sammlung des Beethoven-Hauses auf einen Schlag verdreifachte.

Ein neues Servicezentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Bonngasse 21) schafft Raum für Kasse, Shop, Café, pädagogische Einrichtungen und Garderoben und entlastet die historischen Gebäude. Größere Flächen ermöglichen die Nutzung als außerschulischen Lernort oder für andere Veranstaltungen. Die Servicefunktionen erhalten ein zeitgemäßes "Gesicht": eine großzügige Glasfassade erlaubt eine gute Sichtbarkeit vom Straßenraum. 

Im ursprünglichen Museumsshop im "Haus zum Mohren" (Bonngasse 18) entsteht ein großzügiger, flexibel zu bespielender Wechselausstellungsraum. Im hinteren Gebäudeteil befindet sich ein multifunktionaler Raum für kleine Konzerte auf den beiden dort platzierten historischen Hammerflügeln und Filmvorführungen. 

Zum 250. Geburtstag Beethovens erwartet die BesucherInnen im neu gestalteten Ensemble des Beethoven-Hauses also eine Vielfalt an Angeboten in den verschiedenen Räumen, die zu einem einzigartigen, angenehmen, anregenden und unterhaltsamen Museumserlebnis und damit zu einer zeitgemäßen Begegnung mit Beethoven einladen.

Credits

© Holzer Kobler Architekturen / TheGreenEyl,